Kurz, aber heftig   -   Häufig verkannt, aber gut behandelbar:  
Der "gutartige Lagerungschwindel - auch bei M. Meniere

von   Dr. med.  Helmut  Schaaf    
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DieMenieresche Krankheit ist durch attackenweise Drehschwindelanfälle gekennzeichnet, die mit einer - meist einseitigen - Innenohrschwerhörigkeit, einem in der Regel tieffrequenten Tinnitus einhergehenden: Die organische Endstrecke der Erkrankung stellt der endolymphatische Hydrops des Innenohres dar. Die Häufigkeit wird in Industrienationen um 1:1000 angegeben.
Nun sind Schwindel, Schwerhörigkeit und Tinnitus häufige Symptome. So kommt es vor, dass die Diagnose M. Meniere oft auch falsch gestellt wird oder durch die drei Symptome auf Kosten einer sauberen und oft auch kausal weiterführenden Diagnose mit dem nichts aussagenden Begriff des "Meniereiformen Symptom" bezeichnet wird. Innerhalb dieser "Meniereiformen Symptome" ist - allein schon wegen ihrer Häufigkeit - der gutartige (benigne) gelegentlich (paroxysmale) Lagerungsschwindel (BPLS) zu beachten.

Der "gutartige" Lagerungsschwindel

ist eine der am häufigsten vorkommenden - und leider auch der am häufigsten fehl- diagnostizierten organischen Schwindelerkrankungen überhaupt. Betroffen sind überwiegend Patienten in der zweiten Lebenshälfte. In spezialisierten Schwindelambulanzen macht er etwa ein Drittel der Diagnosen aus. Er ist in aller Regel besser therapierbar als jeder andere Schwindel, da die Ursache innerhalb weniger Minuten beseitigt werden kann.
Typisch sind kurze Drehschwindelattacken mit spezifischen Augenzitterbewegungen (Nystagmen) nach bestimmten Kopfbewegungen, aber auch beim Bücken oder Hinlegen. Diese halten kaum länger als 30 s anhalten an. Meist vergehen nach der Lageänderung einige Sekunden, bevor der Schwindel einsetzt. Manchen wird dabei übel, einige müssen sogar erbrechen. Zwischen den Attacken kann eine leichte Gangunsicherheit bestehen. Bei dieser Erkrankung haben sich kleine Kalkkristalle (Otolithen) aus dem Gleichgewichtsbläschen spontan oder nach einer Schädelverletzung abgelöst. Diese Kristalle lagern sich dann bevorzugt in den nahegelegenen hinteren Bogengang ab, wo sie nicht hingehören. Bei Lagewechsel geraten sie in Bewegung, bewirken bei Endolymphströmung eine Reizung der Sinneszellen und vermitteln damit eine intensive Drehbewegung.

Der "gutartige" Lagerungsschwindel verschwindet in der Regel auch ohne Behandlung nach einigen Wochen bis Monaten, er kann jedoch nach einigen Monaten oder Jahren wiederkehren. Das Spektrum reicht von einer einzelnen kurzen Episode bis zum jahrzehntelangen Leiden. In etwa einem Drittel der Fälle geht dem "gutartigen Lagerungsschwindel" ein Schädelhirntrauma oder ein Ausfall des Gleichgewichtsorgans (Neuritis vestibularis) voraus. (Lempert in Schaaf et al. 1999).

Auch bei Meniere Patienten finden sich der "gutartige" Lagerungsschwindel bei genauem Hingucken nicht selten als zusätzliche Schwindelkomponente. Diese wird dann bis zur richtigen Diagnose oft (unnötig!) als Teil der Meniereschen Erkrankung verkannt und nicht angemessen behandelt.
Die Diagnostik ist schon der Beginn der Therapie. Dabei werden die Betroffenen rasch aus dem Sitzen in die Seitenlage gekippt. Mit der Frenzel-Brille sind dabei die Augenzitterbewegungen sichtbar. Wenn sich so die Diagnose sichern lässt, können 95% der Beschwerden innerhalb von wenigen Wochen beseitigt werden. Dabei werden bei den Betroffenen durch wiederholte Fortsetzung genau dieser Lageänderung die Steinchen wieder aus dem Bogengang "heraus geschleudert" .

Fallbeispiele :
Der erste Patient

1992 sei erstmals ein heftiger Drehschwindelanfall aufgetreten, der von einer lang anhaltenden Hilflosigkeit, Ohnmacht und übelkeit begleitet worden sei. In Kombination mit seiner auch subjektiv erlebten Schwerhörigkeit sei ein M. Meniere festgestellt worden, der damals mit Infusionen und durchblutungsfördernden Mitteln, später dann auch mit Betahistinen behandelt worden sei. In den letzten 7 Jahren hätten sich die Schwindelanfälle fünf mal wiederholt, wobei die Heftigkeit in keinster Weise nachgelassen habe und sich die Verzweiflung, Ohnmacht und Gangunsicherheit oft über Tage erstreckten.
Er schildert spontan, dass der Schwindel immer in bestimmten Bewegungssituationen aufgetreten sei, so dass er glaube, die Halswirbelsäule bedinge den Schwindel ursächlich. Deswegen hat er eine Schonhaltung angenommen, um bestimmte Bewegungen nach links zu vermeiden. Weiter berichtet der Patient, dass die Schwindelanfälle in Situationen mit grossen psychischen Druck aufgetreten sei.
Der Hörbefund weist einen beidseitigen Hochtonabfall, auf, der am ehesten wie ein Lärmschaden, nicht aber wie eine typische Tieftonsenke aussieht.
Ein Tinnitus war nicht vorhanden, ebensowenig ein Druckgefühl auf dem Ohr.

In der körperlichen Untersuchung der HWS zeigte sich eine deutliche Verhärtung der linken Nackenmuskulatur mit entsprechenden Schmerzerleben und Schonhaltung. Die Röntgenuntersuchungen ergaben keinen auffälligen Befund.
In der gezielten Anamnese ergab sich nun auf genaue Befragung, dass das Schwindelereignis zeitlich und vom Schwindelcharakter in zwei Anteile zergliedert werden kann.

Den ersten Anteil machen für ca. 30 Sekunden bis (subjektiv sehr lang erscheinende) ein- zwei Minuten heftige Drehschwindelattacken aus, die den Patienten "mit Wucht zur linken Seite wirbeln". Hierbei erlebt der Patient ein Drehen des Raumes sowie ein Vernichtungsgefühl bei erhaltenem Bewusstsein

Im zweiten Anteil folgt diesem heftigen Schwindel mit Fallneigung für eine lange Zeit "ein sich verfestigendes Gefühl der Ohnmacht, der Verzweiflung, des "Deprimiert-Seins" und der Unsicherheit". Dabei habe er nur noch schwankend gehen und nur noch in Begleitung und gestützt den Arzt aufsuchen können. Dieses Schwindelgefühl halte über 6 Stunden, in einigen Fällen sogar über 2 - 3 Tage an.

Es erfolgte - zunächst diagnostisch - eine Lagerungsuntersuchung nach Semont.
Dabei wurde der Patient zunächst quer auf eine Untersuchungsliege gesetzt und sein Kopf 45° nach rechts gedreht.
Mit einer raschen Bewegung wurde er dann auf die linke Körperseite gelegt, so dass der Kopf hinter dem Ohr aufliegt.
Anschliessend wird der Patient wieder aufgesetzt und dann zur Gegenseite gelagert.
In jeder Position wurden die Augen für mindestens 20 s aus der Nähe beobachtet.

Dabei zeigte sich - diagnostisch wegweisend - die Auslösung von Schwindel und Nystagmus, als der Patient zur linken Seite gelagert wurde. Der Nystagmus rotierte um die Sehachse und schlug in seiner raschen Phase zum linken Ohr. Subjektiv äusserte der Patient einen - ihm vertrauten - heftig einsetzenden Schwindel, der nach 30 Sekunden abklang.
Beim Wiederaufsetzen stellte sich ein gleichartiger Nystagmus ein, jedoch in umgekehrter Richtung nach rechts. Bei der Rechtslagerung traten dagegen weder Schwindel noch Nystagmus auf.
Dies bestätigte den schon anamnestisch vermuteten benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel links.

Ein M. Meniere konnte nun aufgrund der differenzierten Anamnese, des untypischen über Jahre konstanten Hörbefundes sowie des Fehlens eines Tinnitus aus der retrospektive ausgeschlossen werden..

Zu klären war noch der zweite Teil des nach dem Lagerungsschwindel einsetzenden, lang anhaltenden Schwindelgeschehens. Dieses wäre vordergründig zu verstehen gewesen als reaktiver psychogener Schwindel, wie er bei M. Meniere öfters zu beobachten ist.
Hier leitete die Frage nach der beidseitige Hochtonschwerhörigkeit die Aufklärung des spezifischen Wirkmusters bei diesem Patienten ein.
Nachdem sich in der bewussten Erwachsenenzeit des Patienten keine konkreten Hinweise für ein stattgehabtes Lärmtrauma finden liessen, sprach ich den Patienten - in Kenntnis seines Geburtsalters sowie des Geburtsortes - auf seine von mir vermuteten Kriegserlebnisse an.
Dabei zeigte sich, dass der Patient sowohl Bombenangriffe miterlebte wie auch die Trennung von den Eltern, und dies mit dem Gefühl von erstarrender Machtlosigkeit und Ohnmacht.
Soweit in der dann nachgespürt werden konnte, hatten die an sich sehr kurzen und sehr organisch bedingten Lagerungsschwindelattacken ein sehr frühes psychogen zu verstehendes Erleben von Ohnmacht, Verzweiflung und Depressionen reaktiviert und angestossen, was in der Folge das lang anhaltende Schwindel - Gefühl über Stunden bzw. Tage auslöste. Dabei ist verständlich, dass das Ausmass des psychogenen Schwindelanteils um so grösser war, je höher die emotionale Belastung im Vorfeld war.

In diesem Fall hatte nicht ein unverarbeiteter Konflikt zum Schwindel geführt, wie es bei einem "rein" psychogenen Schwindel sonst oft der Fall ist . Hier stiess ein ganz real - und komplett therapierbares - organisches Ereignis ein sonst mehr oder weniger gut verdrängtes frühes Erlebnis an, das dann "wie im Film" mit heftigem körperlichen Sensationen erlebt wurde.

Die zweite Patientin :

Die 67 jährige Patientin litt - tatsächlich - 1992 unter stimmig vorgetragenen Meniere Drehschwindel - Anfällen von mehreren Stunden mit tieffrequentem Tinnitus bei 250 Hz rechts und einer deutlichen Tieftonsenke rechts bis 70 dB.
Allerdings hatten sich bei ihr die Schwindelbeschwerden in den letzten vier Jahren deutlich verändert. So seien keine der über Stunden anhaltenden Schwindelbeschwerden mit Erbrechen aufgetreten, wohl aber kurze, heftige (auf Nachfrage bewegungsabhängige!) Attacken.
Jetzt habe sie Angst, sich überhaupt noch gross zu bewegen und sie traue sich nicht mehr vor die Tür, was von dem Ehemann und der Familie der Tochter als sehr erdrückend erlebt wird.
Sowohl in einem stationären Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik ohne HNO Präsenz wie auch bei einem Psychologen, der wegen der zunehmend depressiven Symptomatik aufgesucht wurde, konnte ihr nicht geholfen werden.

Hier zeigte die Lagerungsprobe nach Semont einen eindeutigen Lagerungsschwindel nach links, so dass bei dieser Patientin zwei verschiedene !!! organische Erkrankungen vorlagen, die beide in der Folge eine zunehmende psychogene Schwindelkomponente nach sich zogen, wie an anderer Stelle ausführlich dargestellt (Schaaf 1999/2000).
Das Schwindel - Erleben entspricht dabei den vegetativen Begleitsymptomen der stattgehabten Meniere Anfälle, das dann als ein "Als Ob" Geschehen abläuft (also anderer Film!). Die Therapie bestand natürlich auch hier in Lagerungsmanövern, die sie Symptomatik vollständig zurückgehe liess.

Literatur:


1. Barany, R. (1921) Diagnose von Krankheitserscheinungen im Bereiche des Otolithenapparates. Acta Otolaryngologica, 2, 434-437
2. Epley, J.M. (1992) The canalith repositioning procedure: for treatment of benign paroxysmal positional vertigo. Otolaryngology, Head & Neck Surgery, 107, 399-404.
11. Semont, A., Freyss, G., Vitte, E. (1988) Curing the BPPV with a Liberatory Maneuver. Advances in Oto-Rhino-Laryngology, 42, 290-293.

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1.10.2009