Grundsätzliches zu M. Meniere

Eine   "v e r l i n k e n d e"   Übersicht   von   Dr. med.  Helmut  Schaaf    

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Im Vordergrund der Menièreschen Erkrankung stehen
Der Schwindel kann von mindestens 20 minütigen Anfällen, bis zu stundenlangen schweren Drehschwindelattacken mit unstillbarem Erbrechen variieren. Kürzere und längere Anfälle haben wahrscheinlich andere Ursachen.

Diese Erkrankung von Gleichgewichts- und Hörorgan kann einen leichten Verlauf nehmen, aber in ungünstigen Fällen kann sie zu Schwerhörigkeit, einem Leiden am Tinnitus und im Gefolge der Schwindelanfälle auch zu länger anhaltenden Unsicherheit, Hilflosigkeit, Angst und Panik sowie zu depressiven Entwicklungen führen.


Eine "Macke" im Innenohr

Der französische Arzt Prosper Menière beschrieb 1861 eindrucksvoll ein Krankheitsbild, das bis dahin für eine Hirnkrankheit gehalten wurde. Er konnte deutlich machen, daß aber für diese eigenständige Erkrankung das Innenohr als Ort der Erkrankung anzunehmen ist.

Inzwischen weiß man sicher, das dem so ist. Darüber hinaus fanden 1938 die Engländer Hallpike und Cairns und der Japaner Yamakawa unabhängig voneinander, daß sich bei Menière-Erkrankten die (Lymph-) Flüssigkeit in den Gehör- und Gleichgewichtsschläuchelchen staut.

Medizinisch wird dieser Stau im Innenohr "Endolymphatischer Hydrops" genannt. Dadurch kann das fein ausgeklügelte System der Sinneswahrnehmung gestört werden, und es kann zu einem regelrechten Chaos im Gleichgewichtsorgan und zu Störungen und Ausfällen im Hörorgan kommen. Diese äußern sich in typischerweise unvorhersehbarem, attackenweisen Schwindel, chronischem Hörverlust, Ohrgeräuschen und Augenzittern (Nystagmus), was oft auch zu Erbrechen führen kann (ausführliches zu den Grundlagen der Erkrankungen s. Schaaf 1998).

Von Prosper Menière selbst nicht beschrieben wurde das oft hinzukommende Druckgefühl, das "wie Wasser im Ohr" empfunden wird. Ebensowenig hat uns Menière von den seelischen Folgen der Erkrankung berichtet, die in ihren Auswirkungen dem Innenohrgeschehen oft zum Verwechseln ähneln können.


Wie alles anfangen kann

Ein kräftiger junger Mann wird plötzlich ohne erkennbare Ursache von Schwindel, Übelkeit und Erbrechen befallen; eine unaussprechliche Angst läßt seine Kräfte schwinden; sein Gesicht, blaß und in Schweiß gebadet, kündigt eine nahe Ohnmacht an. Oft fühlt sich der Kranke zunächst schwankend und betäubt, stürzt dann zu Boden, ohne sich wieder erheben zu können. Auf dem Rücken liegend, kann er dann nicht die Augen heben, ohne die Dinge im Raum umherschwirren zu sehen, die kleinste, dem Kopf mitgeteilte Bewegung vermehrt Schwindel und Übelkeit. Der Patient kann weder den Kopf heben noch sich nach rechts oder links drehen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren; sein Gang wird unsicher, er neigt sich, ohne es zu wollen, nach einer Seite, oft ist er sogar gezwungen, sich gegen eine Wand zu lehnen. Der Boden scheint ihm uneben, er stößt sich an den kleinsten Hindernissen, die beiden Beine sind nicht mehr gleich geschickt, eine Treppe hinaufzugehen, mit einem Wort: die Steh- und Gehmuskeln arbeiten nicht mehr mit der gewohnten Regelmäßigkeit.  Jede etwas heftige Bewegung ruft Funktionsstörungen derselben Art hervor. Läßt sich der Kranke beim Hinlegen plötzlich in die waagerechte Lage fallen, so gerät das Bett nebst allen Dingen in der Umgebung in gewaltig kreisende Bewegung, er glaubt sich auf der Brücke eines Schiffes, von mächtigem Schlingern geschaukelt, und alsbald tritt Übelkeit auf, genau wie im Beginn einer Seekrankheit. Nimmt der Kranke dagegen beim Aufstehen plötzlich senkrechte Haltung an, so treten dieselben Erscheinungen ein, und will er sich in Bewegung setzen, so dreht er sich um sich selbst und fällt augenblicklich um. Wie man alsdann beobachten kann, ist sein Gesicht blaß, es droht eine Ohnmacht, der Körper bedeckt sich mit kaltem Schweiß und alles deutet auf eine tiefe Angst hin.

So Prosper Menière 1861 in seiner Erstbeschreibung

  Angst- Schwindel und Schwindel-Angst

Wem das Gleichgewicht so massiv wie bei vielen Menière Attacken, wie sie in der Folge zu Ehren des Erstbeschreibers genannt wurden, verloren geht, verliert oft Halt und Sicherheit. So ist es kaum verwunderlich, daß die typischen Drehschwindelanfälle häufig mit Todes- und Vernichtungsängsten einhergehen. Stellt sich dieses als existentiell bedrohlich erlebte Ereignis öfters ein, so wächst verständlicherweise auch die Angst vor der Wiederholung. Dabei kann die Angst so groß werden, das sie selbst als Unsicherheit und Schwindel bis hin zu einem Gefühl des Drehschwindels empfunden und zu einer eigenen Krankheitskomponente wird. Über die reinen Anfälle hinaus kann sich dann ein "ständiges" Schwindelgefühl bemerkbar machen. Medizinisch und psychologisch wird dies als "Psychogener Schwindel" bezeichnet. Wenn zuerst die Menièresche Erkrankung und dann der psychogene Schwindel auftritt, wird dieser als "reaktiv" bezeichnet.

Betroffene schildern dies oft so: Man sei taumelig, nicht standfest, wackelig, aneckend, wirr im Kopf, hätte ein dröhnendes Gefühl und Angst, oft sehr viel Angst. Ganze Tage seien nun "Menière Tage". In bestimmten Situationen kann dieses Gefühl, verbunden mit Angst und Panik, dann erlebt werden wie ein Innenohr-bedingter Menière Anfall, obwohl kein Augenzittern eintritt und der Menière- und Seelen-Kranke stehen kann.


Der reaktive psychogene Schwindel:

Der Wirkmechanismus der – für Betroffene und oft auch für Behandler - unvorstellbaren Schwindelerlebnisse ist in vielen Fällen dennoch gut erklärbar.

So sind Drehschwindelattacken meist von heftigen Gefühlen:

begleitet. Natürlich finden diese nicht in einem isolierten luftleeren Raum statt, sondern bei gewissen "Begleitumstände", die dem Anfall vorausgingen oder in denen der Anfall stattfand.

 

1. Schritt:

 

während:

2. Schritt: Klassische Konditionierung

Abb. 2. Klassische Konditionierung beim reaktiven Schwindelanteil des M.Meniere
(beide Abbildungen aus "Schwindel, psychosomatisch gesehen", Seite 47. Siehe Literatur)
 

Bei entsprechender Sensibilität, die sicher für jeden Menschen unterschiedlich ist, können dann diese Begleitumstände oder Teile davon vollkommen unbewußt die gleichen Symptome auslösen wie ein organisch bedingter Menière Anfall.

Diese Begleitumstände sind oft:

Beantwortet wird diese Reizer dann zwar nicht von einem Drehschwindel mit Umfallen und insbesondere nicht mit der durch ein Augenzittern (Nystagmus) bedingten, sich drehenden Welt, aber die Gefühle von

sowie die "vegetativen" Symptome wie Schweiß, Blutdruckveränderungen, Herzklopfen usw. können genau so wie bei einem Menière Anfall erlebt werden.

Im Gefolge können dann auch noch die auslösenden Reize immer unspezifischer werden. Dann können schon ähnliche Situationen oder Phänomene zum Auslöser der Schwindel-Empfindungen führen, ein Vorgang, der als Reizgeneralisierung bezeichnet wird.

Hinzu kommt noch ein weiteres Phänomen. Auch die bei Schwindelanfällen fast schon natürlich auftretende Angst kann selbst wiederum wie Schwinden und Schwindel empfunden werden. Dies kann einen dauerhaften Prozeß des Angst-Schwindels und der Schwindel-Angst einleiten.

Wenn dies – ohne therapeutische Hilfe – möglicherweise zu einer immer weiteren Einengung sowie zur sozialen Isolierung führt, können weitere psychogene Folgeprobleme auftreten, die selbst wieder zu Angst und Schwindel führen können.

Dabei ist es wichtig zu wissen, daß diese Mechanismen überwiegend unbewußt verlaufen und für die Betroffenen – und meist für die Umgebung auch – oft "ungeheuerlich" in der Wirkung und im Verstehen sind.

Aber es gibt auch eine tiefenpsychologische Interpretation des reaktiv psychogenen Schwindelanteils bei M. Menière. So führt der Psychosomatiker Lamparter (1998) aus: Im Verlauf der Erkrankung scheint sich die weitere Auslösung der Anfälle immer mehr vom Ausmaß des subjektiv erlebten "Stresses" abzulösen. Die Krankheit wird immer mehr selbst zu einem "Streß", da der betroffene Patient nie sicher sein kann, nicht im nächsten Moment einen existentiell erschütternden Anfall zu erleben. Diese können ihrerseits wieder zu einer Erhöhung der inneren Spannung führen. Dies wiederum kann zu einer Erhöhung der innerpsychischen Spannung führen, deren Abfuhr nun nicht mehr als Reaktion auf faßbare äußere Ereignisse erfolgt, so daß sich ein - allerdings nur scheinbar - von psychischen Einflüssen unabhängiges, organisches Geschehen ergibt.

Ob so oder so oder von beidem etwas - die psychogenen Schwindelformen sind um so häufiger zu erwarten, je weniger die Betroffenen nachvollziehbar über das organische Geschehen und seine Auswirkungen aufgeklärt sind. Daher kann sich der psychogene Schwindel selbst dann verfestigen, wenn das Gleichgewichtsorgan längst seine Funktion verloren hat.


Ist M. Menière eine psychosomatische Krankheit ??

Die M. Menièresche Erkrankung ist eindeutig durch gestörte Prozesse im Innenohr erklärlich. Soweit ist bei allen offenen Fragen alles klar.

Klar ist auch, daß der Stau der Endolymphe, der endolymphatische Hydrops, eine wesentliche Grundbedingung für die Menièresche Erkrankung ist. Aber es ist nur eine Grundbedingung. Zum einen münden viele Krankheitsprozesse des Innenohrs in einem Endolymphstau, ohne zu M. Menière zu führen und zum anderen reicht das bloße Vorhandensein des Endolymphstaus nicht für die Erklärung der zum Glück ja nur relativ seltenen Schwindelanfälle aus.

Offensichtlich ist auch, das daß Ausmaß und die Art des Krankheitserlebens und – leidens nicht nur durch die Anzahl und Dauer der Menière Attacken bestimmt ist, sondern in wesentlichen Anteilen von den Bewältigungsmöglichkeiten des Betroffenen abhängt. Das gilt insbesondere für das Schwindelerleben und das Leidens am Tinnitus, aber auch für die Kompensation des Hörverlustes.

So gibt es,  

Noch komplexer wird das Geschehen dadurch, daß nicht nur das psychogene Schwindelgeschehen, sondern wohl auch der organisch ausgelöste Anfall von verschiedenen spezifischen Faktoren (sog. Triggern) ausgelöst werden kann.

Als solche Trigger führt Jahnke 1994 neben entzündlichen Herden, Stoffwechselstörungen und Immunstörungen folgende Faktoren an:

 

Was immer man unter dem sicher zu häufig und auch zu unspezifisch gebrauchten Begriff "Streß" verstehen mag, das, was damit gemeint ist, ist mit der vermehrten Ausschüttung des Hormons Adrenalin verbunden. Adrenalin versetzt bei Aggression und Wut den Menschen in Anspannung und stellt Reserven für Kampf oder Flucht bereit. Nun sind solche Reaktionen nur noch in wenigen Freiräumen möglich. So werden meist die ausgeschütteten Hormone nicht verbraucht, sondern wirken sich im Körper aus. Damit können sie nicht nur "reaktiv" zu Verspannungen im Nacken und Rücken, sondern vielleicht auch zu Veränderungen des komplexen Geschehens im Innenohr führen.

Die Forschergruppe um Kuhn zeigte 1991 im Tierversuch, daß Adrenalin die Grundlagen für die Erfassung und Übermittlung von Nervensignalen in der Schnecke ändern kann.

Dies könnte ein - auch medizinisch nachvollziehbares – Bindeglied zwischen Psyche, Gefühlen und Innenohrschäden sein. Es wäre auch zu merkwürdig, wenn sich Bewegungen in der Psyche ausgerechnet nicht am Innenohr niederschlagen würden, wo Auswirkungen an anderen Organen wie Magen, Leber, Herz usw. schon länger anerkannt sind.


Die Menièresche Erkrankung - ein komplexes Knäuel

Insgesamt zeigt sich (wie auch für viele andere chronischen Krankheiten!) für die Menièresche Erkrankung ein komplexes Knäuel verschiedener bekannter und sicher auch noch einiger unbekannter Faktoren.

In therapeutischer Hinsicht ist es sinnvoll, dieses Knäuel nach den Fäden zu untersuchen, die therapeutisch beeinflußbar sind und denen, die schwer oder gar nicht veränderbar sind.

   

Zu den nicht veränderbaren Faktoren gehören:

Nun sieht es so aus, also ob die Wahrscheinlichkeit, an einer bestimmten Krankheit zu erkranken, eher vererbt als erworben ist. Aber die Schwere der Erkrankung und ihrer Auswirkungen und die Chance, die Krankheit tatsächlich zu bekommen, hängt wohl deutlich mehr von den erworbenen Möglichkeiten und Bewältigungsstrategien ab.

Zu den beeinflußbaren Faktoren gehören:

Zu den ausgleichbaren Folgen

Wichtig für jeden einzelnen und jeweils unterschiedlich betroffenen Menière Patienten ist es, möglichst viele Anteile seines Menière Knäuel zu verstehen,
um das änderbare oder wenigstens ausgleichbare und verbesserbare anzugehen
und das nicht änderbare, auch wenn es oft sehr schmerzhaft und schwierig ist, zu akzeptieren.

Für das Erkennen, verändern und akzeptieren braucht man oft Hilfe von außen, möglicherweise von verschiedenen Fachleuten.

Schwierig ist oft insbesondere die Unterscheidung zwischen dem Schwindel aus dem Innenohr und dem Schwindel der Seele ist häufig und bedarf des entsprechenden Wissens. Als Anhaltspunkte auch für die eigene Kompetenz, sind beide Formen mit ihren Symptomen aufgelistet:

 

 

Innenohrbedingter

Schwindel – Anfall

Psychogener

Schwindel Zustand


Eigenes

Fixieren eines festen Gegenstandes

Nicht möglich

möglich
 
Heftiges Auftreten

Nicht möglich, führt zu (erneuten) Umfallen

bessert das Schwindel – Erleben,
führt zu mehr Standfestigkeit

Erkennen


Vertraute Menschen

Ohne direkten Einfluß auf den Schwindel

kann das Schwindel - Erleben
deutlich bessern

Ärztlich

Augenzittern (Nystagmus)

Vorhanden (Frenzelbrille)

Nicht vorhanden

Psychologisches


Beschreibung des Schwindels

Drehschwindel, der Raum bewegt sich um den Menschen

vielfältig, dauerhaft,

tagelang, immer...


Psychosomatisches

Audiogramm (Hörtest)

Wiederholte Tieftonverluste und –schwankungen häufig

ohne Änderung


Erkennen

Wahrnehmung beim "Gegenüber"

Angst, Panik, Ohnmacht,
Resignation ...


Angst & Panik
meist im Vordergrund

Eigene und professionelle Möglichkeiten zur Unterscheidung des Innenohr-bedingten Schwindels von psychogenen Schwindelzuständen

 

Was ist zu tun: Therapie

Der M. Menière an sich ist wohl nicht heilbar.  
Auch wenn die Krankheit an sich nicht heilbar ist, so sind dennoch

Der M. Menière ist keine Todes- oder Vernichtungs-Diagnose, sondern bezeichnet eine Erkrankung des Innenohrs, die bei allen – meist einseitigen - Funktionsausfällen gutartig ist und keine Krankheit des Zentralnervensystems wie etwa ein "Schlaganfall" ist.

In dem oben beschriebenen, stets individuellen Knäuel (Puzzle) der Erkrankung mit ihren verscheiden ausgeprägten körperlichen und seelischen Anteilen hat die Medizin den Grundstein zu legen in

 

 

  1. der Erkennung (Diagnostik),
  2. der Aufklärung und Beratung:
  3. der Möglichkeit der effektiven Dämpfung des akuten Anfalls
  4. der medizinischen Begleitung zwischen den Anfällen
  5. der Bereitstellung von Technischen Kompensationshilfen beim Hörverlust von Hör- und CROS-Geräten über das Lippen-Ablesetraining, die Gebärdensprache, Sprachcomputer etc. bis zum Cochlear Implant
  6. und die "definitive" Ausschaltung des Gleichgewichtsorgans. als allerletzte Möglichkeit.


Diagnostik, Aufklärung und Beratung

Nach der genauen Diagnostik (einzelne Schritte s. oben) muß eine - für die Betroffenen nachvollziehbare – Aufklärung erfolgen. Vielleicht mehr noch als bei anderen Erkrankungen mit körperlichen und seelischen Komponenten ist das organische Verständnis im Sinne von Verstehen und Wissen bei M. Menière nötig. Je besser die Erkrankung verstanden werden kann und je mehr praktikable Möglichkeiten des Umgangs mit den daraus erwachsenden möglichen Problemen wie dem Schwindel und der allgemeinen Unsicherheit deutlich werden, desto geringer sind die Folgeprobleme. Dies gilt insbesondere für die Phänomene des psychogenen Schwindels und der Ausweitung der Angstkomponente., die für das Erleben des Anfall verständlich ist. Nötig ist hier von seiten des Mediziners ein verständnisvoller Zugang für das Wissenbedürfnis und die Not des Patienten.

Dabei gilt es zu erkunden, was noch möglich ist, ohne aber in vermeintlicher Schonung eine Machbarkeit vorzutäuschen, die schnell enttäuscht wird.

Dabei geht es perspektivisch um eine Hilfe zur Selbsthilfe, die auch das Engagement der Betroffenen in Selbsthilfegruppen einbezieht. Zu diesen kann über die Deutsche Tinnitus-Liga und die K.I.M.M Kontakt aufgenommen werden!

Der Wunsch an den Mediziner besteht in der Wahrnehmung und Respektierung der seelischen Seite sowie in der professionellen Weichenstellung. Dabei können auch schon Entspannungsverfahren wie die Progressive Muskelrelaxation oder das Autogene Training einen veränderten Umgang der Erkrankung einleiten.

Was in der Regel die Möglichkeiten der normalen Kassenpraxis weit überschreitet, sind die zeitintensiven Zwischenschritte und die professionelle - psychotherapeutische und ggf. auch körpertherapeutische - Bearbeitung der Not der Betroffenen.

Dies ist oft aber nötig.

Auch wenn sicherlich organische Schwachstellen oder Schäden vorliegen, so hängt Verlauf, Erleiden und Erleben der Erkrankung wesentlich von der Verarbeitung und der aktiven Aneignung von Bewältigungsstrategien ab. Diese bestehen sowohl im Ausgleich und der Kompensation des verlorenen Gleichgewichtes als auch in der Wieder-Gewinnung einer - möglicherweise veränderten - Lebensqualität (s. unten).


Die Akuttherapie der Menièreschen Krankheit

Für den akuten Anfall stehen eine Reihe von effektiven schwindeldämpfenden Medikamenten (Dimenhydrinat, z.B. Vomex) für die Infusions- Behandlung, aber auch als Tablette und als Zäpfchen zur Verfügung.

Solange die Diagnose M. Menière nicht sicher ist, werden in der Unsicherheit des Zweifel und in der Not, nichts auszulassen, oft Infusionsen mit oder ohne Cortison-Zusatz bis zu 14 Tagen durchgeführt, in der Vorstellung, die Durchblutung zu verbessern.

Ist die Diagnose M. Menière sicher, so kann von diesen Infusionen abgesehen werden. Selbst wenn man eine Durchblutungsteigerung erreichen könnte, wäre eine Beeinflussung des endolymphatischen Hydrops nur schwer vorstellbar.

Die eigene Notfallvorbereitung

Wissen die Betroffenen um die Diagnose, ist es sinnvoll und effektiv, sich selbst auf einen möglichen Anfall vorzubereiten.

Dazu wird benötigt:

 

1) Zäpfchen und Tabletten gegen die Übelkeit

2) Eine "Hilfe-Karte", die die Betroffenen in ihrem Schwindel als Kranke und nicht etwa als Betrunkene ausweist und um Unterstützung bittet.

3) Eine Tüte, für den Fall, daß es trotz mitgeführter Medikamente zum Erbrechen kommt.

4) technische Hilfsmittel wie ein Handy, um ggf. Hilfe anzufordern


Die Begleitung und die Therapie zwischen den Anfällen

Auch und gerade zwischen den Anfällen bleibt die ärztliche Begleitung hinsichtlich der Fragen und Nöte der Patienten wichtig. Insbesondere gilt es oft zu klären, was weiter möglich ist und was nicht, was auch an den weiter unten zu besprechenden Hörhilfen sinnvoll ist und inwieweit etwa der Schwindel und die Angst vor dem Schwindel größere auch seelische Ausmaße zeigt.

In bezug auf die medikamentösen und chirurgischen Maßnahmen wird von Seiten der HNO-Ärzte ein Stufenplan (Jahnke 1994) empfohlen, der sich vor allem an der Anzahl und Dauer der Schwindelzustände wie der Einschränkung des Hörvermögens orientiert. Dabei weist diese Klassifizierung keine zeitliche Gesetzmäßigkeit auf. Ein Menière-Leiden kann alle Stadien durchlaufen, aber auch bei Stadium 1 stehenbleiben.  


Stadium 1: Ein schwankendes Hörvermögen. In diesem Stadium kann sich das Hörvermögen nach einem Schwindelanfall vollständig normalisieren.

Stadium 2: Schwindel und schwankendes Hörvermögen, das sich spontan bessert, aber nicht mehr normalisiert oder nur nach osmotischer Therapie (z.B. dem Glyceroltest) bessert.

Stadium 3: deutliche Hörminderung ohne Schwankungen, weitere Schwindelanfälle.

Stadium 4: ausgebrannte Menière-Krankheit.  

Im Stadium 1+2 konzentrieren sich die HNO Ärzte auf die symptomatische Bekämpfung des akuten Schwindels mit schwindeldämpfenden Mitteln und wiederholen im Prinzip immer wieder das Akutschema der Infusionsgaben mit oder ohne Cortison.

Medikamentös werden für diese Stadien kurzfristrig harntreibende , entwässernde Substanzen (Diuretika) und langfristig Betahistine vorgeschlagen.

Die Betahistine (z.B. Aequamen, Vasomotal etc) sollen die Durchblutung verbessern. Ausschwemmende, harntreibende Mittel (Diuretika) werden - wegen ihrer Nebenwirkungen auf die Haarzellen (Ototoxität) nur kurzfristig - eingesetzt in der Vorstellung, den Endolymphstau zu verkleinern.

Leider liegen die Erfolge nicht größer als bei Placebo, also Medikamente, die "eigentlich" nicht wirklich wirken. Diese betragen allerdings 70 %.

In Stadium 2b und 3, wenn die Schwindelanfälle die Lebensqualität und/oder Arbeitsfähigkeit durcheinanderwirbeln, kommen weitergehende Eingriffe in Betracht. Solange noch ein Hörvermögen im Sprach-Bereich vorliegt, werden Eingriffe versucht, bei denen zumindest theoretisch eine Erhaltung des Hörvermögens möglich ist. Chirurgisch wird die Saccotomie als weltweit häufigster Eingriff bei M. Menière in vielfältigen Variationen durchgeführt in der Hoffnung, den Endolymphatischen Sack zu entlasten.

Immer mehr in Diskussion auch schon in Stadium 2b kommt die Gabe des ohrengiftigen Gentamycin (s.u.).

Leider ist bei der Saccotomie in all ihren Variationen sehr fraglich, ob diese Maßnahme mehr das Endolymphatische Geschehen oder die Behandler entlasten. Die Erfolge sind bei diesen Methoden statistisch nicht größer als bei Placebo.

Tritt in Stadium 3 der - innenohrbedingte! - Schwindel öfters als zweimal die Woche auf und ist das Hörvermögen im Sprachbereich ausgefallen, kommen auch rein destruktive Maßnahmen in Betracht (Morgenstern 1994). Dazu gehört die Gabe des ohrengiftigen Gentamycin (die auch schon in Stadium 2b durchgeführt wird) direkt vors Innenohr oder die immer erst als letzte erwogene Durchtrennung (Neurektomie) des Gleichgewichts-Nerven (N. vestibularis). Nachteil bei der Gentamycingabe sind die Gefährdung des Höranteils, auch wenn das Verfahren immer sicherer zu werden scheint und damit das Risiko auch der Hörschädigung immer kleiner wird. Nachteil bei der Neurektomie ist der relativ riskioreiche neurochirurgische Eingriff, wobei auch dieses Verfahren immer sicherer geworden ist.

Durchschnittlich nach neun Jahren scheint bei 75% der Unbehandelten und nicht chirurgisch Therapierten(!) die Menièresche Krankheit "auszubrennen", d.h. die Schwindelanfälle werden schwächer oder verschwinden ganz. In diesem Stadium 4 befinden sich Menière Betroffene organisch auf einem Niveau mit Menschen, die aus anderen Gründen, etwa durch eine Entzündung, ein Gleichgewichtsorgan verloren haben. Dem vorausgegangen sind allerdings möglicherweise dramatische Erlebnisse von langanhaltender Unsicherheit, die Narben hinter lassen haben können. Treten keine attakenweise Anfälle mehr auf, so kann die verminderte Gleichgewichtsfunktion vor allem mit Gleichgewichtsübungen wieder so weit wie möglich aufgebaut und erhalten werden.

Technische Kompensationshilfen

Schwerhörigkeit ist oft ein deutlicher Bestandteil der Menièreschen Erkrankung und kann zu sozialer Isolierung führen. Eine einseitige Schwerhörigkeit kann zwar meist grob kompensiert werden, führt aber in der Regel zum Verlust des Richtungshörens, das nur beidseitig möglich ist.

Ist ein Tinnitus vorhanden, so wird dieser bei Schwerhörigen vermehrt wahrgenommen, da die überdeckenden (maskierenden) Außengeräusche fehlen. Deswegen kann bei schwerhörigen Menschen mit Tinnitus-Leiden ein Hörgerät oft Wunder bewirken, nicht nur im Ausgleich des Hörvermögens, sondern auch bei der Tinnitus-Maskierung.

Es spricht also alles dafür, bei Menière Patienten, deren Hörverlust den Sprachbereich ergriffen hat eine Hörgeräteversorgung zu besprechen und wenn möglich durchzuführen.

Ein häufiger und zunächst verständlicher Einwand gegen die Hörgeräteversorgung bei Menière-Patienten ist die Möglichkeit, daß sich die Hörschwelle öfters verschieben kann.

In der Tat ist dies eine (1) der zu beachtenden Besonderheiten. Dadurch ist ein besonderer Aufwand an Zeit, Kenntnis und Kooperationsbereitschaft beim Patienten, Arzt und Hörgeräteakustiker nötig. So kann es sein, daß das Hörgerät von Zeit zu Zeit nachreguliert und ggf. auch ein neues Gerät angepaßt werden muß. Manchmal ist auch noch ein spezielles Hörtraining nötig.

Als weitere Besonderheit muß beachtet werden, daß die herkömmlichen Hörgeräte die Tieftonverluste oft nicht befriedigend ausgleichen. Die normalen Hörgeräte sind vor allem auf den häufigen Hochtonverlust ausgerichtet. Die modernen digitalen Hörgeräte können mehr. Sie können gezielt die tiefen Töne verstärken und die hohen Töne unverstärkt lassen und sie können die im tieffrequenten Bereich oft vorhandenen Störgeräusche herausfiltern.

Auch muß von Seiten der Hörgeräteakustikers darauf geachtet werden, daß der Hörschlauch? oft kleiner im Durchmesser als bei den herkömmlichen Geräten üblich sein muß, um Rückkopplungen zu vermeiden. Auch erweist sich eine offene Versorgung oft als besser verträglich als die geschlossenen.

So ist eine, wenn auch teure, aber sinnvolle und in der Regel auch im Sinne des Gesetzgebers angemessene Hörgeräteversorgung möglich, bei allen Schwierigkeiten.

a):

Der Tinnitus, der auch bei Menière-Patienten in der Regel 10-15 dB über der Hörschwelle bestimmt wird, macht bei Schwerhörigkeit bis zu 90% der Hörwirklichkeit auf dem betroffenen Ohr aus.

 

b):

Ein oft einfaches Hörgerät kann durch die Erweiterung der akustischen Wahrnehmung, in der wieder Stimmen, Vogelgezwitscher oder Schneeknirschen vernommen werden kann, dazu beitragen, den gleich laut bestimmbaren Tinnitus auf 10% der Wahrnehmung zu reduzieren.

Ist es durch den Verlauf der Erkrankung und/oder durch die Behandlung zu einer einseitigen Taubheit gekommen, so ist kein räumliches Hören mehr möglich. Um dies im Ansatz auszugleichen, wurden sogenanntes CROS (Contralateral Routing of Signals) Geräte konstruiert. Diese bestehen im wesentlichen aus einer Mikrophon-Einheit hinter dem ertaubten Ohr, das mit einem dünnen Kabel zum Verstärker auf der anderen Ohrseite verbunden ist. So werden die Signale von der ertaubten Seite wenigstens auf dem anderen Ohr mit-gehört. Dieses wie ein beidseitiges Hörgerät aussehende CROS-Gerät, das auch über eine Brille verlegt werden kann, hilft vor allem gegen Ein-Seitigkeit in der sozialen Kommunikation. Möglich, aber entsprechend teuer ist eine drahtlose Verbindung zwischen beiden Ohren. Es ist also wieder möglich, sich mit Menschen rechts und links zu unterhalten, statt in Gesellschaft einer Hälfte de facto abgeschnitten zu sein. Auch im Straßenverkehr ist es nützlich, Fahrzeuge von beiden Seiten zu hören, ehe sie zu nahe kommen.  


Psychologische Maßnahmen

Psychologische Maßnahmen über das Erlernen der Entspannungsverfahren hinaus sollten erwogen werden, wenn Krankheitsbewältigungsprobleme auftreten und die Lebens, (Liebes-) und Berufsfähigkeit gefährdet ist. Psychotherapeutische Hilfe ist insbesondere notwendig, wenn sich ein psychogener Schwindel einstellt. Dabei kann es oft sinnvoll sein das soziale Umfeld, insbesondere die Lebenspartner, miteinzubeziehen.

Wichtig für alle Behandler ist es - für die eigene Sicherheit diagnostisch und für den Patienten nachspürbar - zu klären, ob es sich bei den "Schwindelanfällen" um Attacken aus dem Innenohr oder etwa um begleitende oder reaktive depressive Krisen handelt, die sich für die Betroffenen im Erleben ähnlich oder gleich anfühlen können.

Es ist schon viel gewonnen, wenn psychotherapeutisch dahin gehend gearbeitet werden kann, daß sich der unvermeidbare Schwindel auf die rein organischen Attacken beschränkt.

So haben wir in Arolsen die Erfahrung gemacht, daß unsere Patienten nach einer sechs bis achtwöchigen psychosomatischen Arbeit meist einen "festeren" Stand und eine neue Sicherheit erlangen.

Beim M. Menière kann der Psychologe dann kompetent sein, wenn er auch organisch - zumindest grob - Bescheid weiß und - das wäre der Wunsch und die Anforderung an die nichtärztlichen Psychotherapeuten - nicht jeder Anfall als psychogen gedeutet wird.

Unerläßlich aber ist die eigene Motivation und der Wille der Betroffenen, gesund zu werden Letztlich geht es bei allen therapeutischen Begegnungen darum, daß die Menschen auf der Suche nach Lösungsmöglichkeiten in die eigene Gestaltung kommen können.


Gleichgewichtstraining

Zwar erholt sich nach einem akuten Menière-Anfall das Gleichgewichtssystem in der Regel "von selbst", das gilt aber nach dem 27. Anfall nicht mehr unbedingt. Ein - intensives Körpertraining hilft, die im Verlauf der Menière-Krankheit häufig festzustellenden Ausfälle im Gleichgewichtsnetzwerk wieder auszubessern und – nach Eingriffen am Gleichgewichtsapparat – die Kompensationszeit zu verkürzen.

So sind Gleichgewichtsübungen ein wichtiger Schritt zur Erhaltung und Wiedergewinnung von Sicherheit in der Bewegung und der "Haltung" im weitesten Sinne. Dies gilt auch für "psychogene" Schwindelzustände

Hierzu gibt es viele Möglichkeiten. Einfache Übungen werden meist anschaulich bebildert von vielen Krankenkassen angeboten. Hervorragend sind Feldenkrais-Übungen geeignet und prinzipiell auch ohne Experten erlernbar. Professionelle Körpertherapeuten sind dann nötig, wenn die eigene Kraft nicht mehr ausreicht.

Wir arbeiten in der Tinnitus Klinik in Bad Arolsen neben einem individuell abgestimmten, speziellen Gleichgewichtstraining besonders mit den aus dem chinesischen Gesundheitssystem stammenden Tai Chi Chuan-Übungen. Diese Übungen sind - auch ohne fernöstliche Weltanschauung - wunderbar zur Förderung der bewußten Wahrnehmung von Körpergefühlen und Sinnesreizen sowie zum Wieder- oder Neufinden sensomotorischer Balance geeignet, bedürfen aber initial der Anleitung.

Eine stationäre psychosomatische Behandlung wird notwendig, wenn die Behandlungsmöglichkeiten ambulant ausgeschöpft sind und/oder die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten zu klein oder unzureichend sind. Der Vorteil einer stationären Behandlung ergibt sich aus der institutionalisierten Zusammenarbeit und Therapieabstimmung der verschiedenen Therapeuten von den Ärzten, über die Psychologen bis zu den Pflege- und Bewegungstherapeuten. Die Arbeit in der Tinnitus Klinik Arolsen stützt sich im Wesentlichen auf vier Säulen :
 

  1. Ernsthafte und medizinisch fundierte Aufklärung,
    gestützt auf eine umfassende neurootologische Diagnostik
  2. Eine Integrative Körperarbeit
  3. Psychotherapeutische Bearbeitung des Menière-Leidens
  4. Hör- und Geräuschtraining zur Habituation
Wenn der Tinnitus im Vordergrund steht findet sich - oft - die glückliche Situation, daß die Betroffenen seit längeren anfallsfrei sind. Dann arbeiten wir mit ihnen wie mit den anderen Tinnitus-Leidenden. Als Besonderheit ist aber bei Menière Patienten zu beachten, daß bei ihnen aufgrund der Endolymphschwankungen tatsächlich - in nicht "nur" der Wahrnehmung das Ohrgeräusch lauter werden kann. Dies kann die Bedeutung (im Sinne von Information) haben, daß sich ein Schwindelanfall ankündigt (Aura-ähnlich). Hier ist es wichtig, unterscheiden zu lernen zwischen unbedeutendem und bedeutendem Tinnitus. Der unbedeutende, stets gleiche, meist als tiefes Grundrauschen empfundene Tinnitus ohne Informationscharakter wird behandelt wie andere Tinnitusarten. Der Tinnitus mit Bedeutung kann einen möglichen Anfall ankündigen und deshalb, so schrecklich es ist, genutzt werden, um sich auf den Anfall vorzubereiten. Auch hier ist schon viel gewonnen, wenn beides unterschieden werden kann.


 Zuletzt geändert am 1.10.2015


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